Man ist nicht nur für sich selbst verantwortlich
Herr Dr. Asperger, hat sich der Umgang mit dem Tod im Laufe ihrer ärztlichen Tätigkeit verändert?
Es ist insgesamt differenzierter, aber auch komplizierter geworden. Im nahen Umfeld trägt vieles dazu bei, Sterbenden dem nahenden Tod mit Würde und ohne Angst entgegen zu sehen. Durch Palliativstationen, Hospize, vor allem aber auch das Sprechen über das Problem Tod und Sterben hat zu einer Verbesserung des Umgangs mit dem Thema beigetragen. Aber die Situation an sich, in der Gesellschaft, ist wesentlich schwieriger geworden, weil der Tod nicht mehr dazu gehört. Eigentlich leben wir in einer Konsumgesellschaft, in der das Leben zählt das schöne, erfolgreiche und möglichst lange. Für viele eine Gesellschaft, in der Schönheit und Sportlichkeit zählt und all das, was man tut, damit man nicht stirbt. Viele denken, Sterben gibt es nicht.
Haben Mediziner da nicht auch Schuld dran?
Nicht nur Mediziner, vor allem auch die Medien. Schauen Sie sich die Hochglanzbroschüren an! Ja, auch die Mediziner. Vielen Leuten wird eingeredet, dass wir Ärzte inzwischen fast alles könnten. Tatsächlich können wir heute auch mehr als früher! Aber es stellt sich eben die Frage: Was ist sinnvoll? Gerade in der Onkologie, also wenn es um die Krebstherapien geht, muss gefragt werden, wie sinnvoll diese Therapien für den Patienten wirklich sind. Was, wann, wie lange und wie intensiv? Das muss mit den Patienten und ihren Angehörigen eingehend besprochen werden und das Problem ist umfassend.
Warum ist das so?
Auch viele Chirurgen denken, sie können und müssten alles Mögliche auch tun. Und tatsächlich ist es natürlich in der Regel einfacher, einem Betroffenen zu sagen, was man noch alles machen könnte und kann. Die Betroffenen nehmen solche Vorschläge natürlich auch gern an in der Hoffnung auf Heilung und Weiterleben.
Wir haben heute eigentlich ein Zeitalter der sogenannten partizipativen Entscheidungsfindung, Patienten und Ärzte sollen auf Augenhöhe miteinander sprechen und die Entscheidung gemeinsam fällen. Aus meiner Sicht ist dies nicht möglich und auch nicht fair. Wie kann der Patient auf dem gleichen Wissensniveau sein wie der Arzt?
Wie kann man sich auf schwierige Situationen vorbereiten?
Es wäre wünschenswert, wenn man sich mit den Themen Sterben und Tod auseinandersetzt, für sich selbst und mit den Angehörigen. Aber das passiert viel zu wenig. Ich glaube, ein 30jähriger Mensch beschäftigt sich nicht damit, ob er Darmkrebs bekommen kann. Das Thema ist alltäglich publik, dennoch ist die Vorsorgequote erschreckend schlecht. Der junge dynamische Mensch hat für so was (noch?) keinen Platz.
Wenn überall stationäre Hospize wären, wäre das gut?
Das wird in den nächsten 20 Jahren nicht eintreten. Und wenn es so kommen würde, wäre das für die Gesellschaft nicht gut. Die Gefahr dabei ist, dass der Tod noch weiter professionalisiert würde, denn alle würden vielleicht die Sterbenden dann dorthin schicken. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass das Sterben nach Hause gehört. Es gibt Gründe, warum das nicht geht und da wird dies auch zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Es fehlt die Zeit, das Geld, zu Hause zu bleiben, es gibt viele Ängste im Umgang mit Sterbenden oder die Verwandten sind so weit verstreut, dass es nicht oder nur schwer umzusetzen ist. Dann ist ein Hospiz eine für alle gute Lösung. Deshalb ist es gut, dass es sie gibt, aber sie müssen nicht überall und vor allem nicht stationär sein. Ich kann jedoch aus vielen eigenen, auch persönlichen Erfahrungen sagen, dass die Betreuung eines Sterbenden zu Hause, sicher unter Zuhilfenahme von Pflegediensten und ambulanter Palliativ- und Hospizbetreuung die wohl persönlichste und intensivste Variante für alle Betroffenen ist.
Wird Sterben im Krankenhausalltag ausgeklammert?
Was man so hört, ja. Aber unser Krankenhaus hier hat sehr viel getan. Da sind die Anfänge von Heinrich Pera, der das würdevolle Sterben thematisiert hat. Wir haben auch sogenannte Totentücher (mit der Kunsthochschule der Burg Giebichenstein entwickelt) als Angebot und kleine Ritualsets. Hier wird niemand mehr ins Badezimmer abgeschoben und das gab es auch nie. Wenn, dann wurde jemand zum Sterben in ein Einzelzimmer gebracht, auch um die Mitpatienten zu schonen und um den Angehörigen des Sterbenden Raum zu geben. Würdevolles Sterben ist im Krankenhaus möglich, auch auf einer Intensivstation. Unter Berücksichtigung einer benachbarten oder integrierten Palliativstation oder eines Hospizes wird Sterben aber auch in Zukunft immer zum Krankenhausalltag gehören. Deshalb sollten Maßnahmen ergriffen werden, die das in entsprechender Umgebung und Atmosphäre ermöglichen.
Was braucht es für ein gutes Sterben?
Ich denke nicht, dass jeder für sich allein stirbt. Man muss darüber nachdenken können, wo man selbst steht, aber vor allem auch, wie man mit seinen Mitmenschen verbunden ist. Damit kann man sich aber erst auseinandersetzen, wenn man akzeptiert hat, dass man sterben muss.
Sie meinen also, dass man sich besser verabschieden kann, wenn man die Dinge abschließt, wenn man ein Resumeé ziehen kann?
Ja, man braucht schon Zeit und Raum um zu reflektieren. Ich glaube, das ist sehr wichtig, für einen selbst und auch für die Angehörigen. Man ist nicht nur für sich selbst verantwortlich. Auch ein Sterbender trägt meines Erachtens Verantwortung für die, die er zurück lässt.
Was ist der Heinrich-Pera-Hospizverein?
Der Ursprung war ein Verein, der sich um die Hausbetreuung Sterbender kümmerte. Das waren die Anfänge des Hospizes mit der Ausbildung freiwilliger Helfer. Und dann kam das Hospiz als gGmbH. Heute ist unsere Aufgabe, die Hospizidee in die Bevölkerung zu tragen. Modern würde man vielleicht sagen: Hospiz ist die Einrichtung und wir sind die PR-Abteilung.